
Das Werk in Chinas Kornkammer
In der ostchinesischen Stadt Gaomi betreiben wir seit 2014 einen Standort. Das Werk produziert hochwertige Agrarmaschinen und fertigt Bauteile auf dem Niveau deutscher Zulieferer. Ihre Erfolge verdankt die Fabrik auch dem dualen Ausbildungssystem und der Unternehmenskultur von CLAAS, die die chinesischen Mitarbeitenden mehr als 8.000 Kilometer von unserem Hauptsitz in Harsewinkel entfernt leben.
Dr. Xi Chen ist ein Frühaufsteher. Spätestens um sieben Uhr betritt er unter der Woche das Gelände des Werks im chinesischen Gaomi. Wenn er sich zum Frühstück in die große Betriebskantine setzt und sich mit den Angestellten über ihr Privatleben unterhält, dann ist das für manche noch ungewohnt. Denn Chen verantwortet als General Manager die Produktion von CLAAS in China – und ein so nahbarer Chef ist in chinesischen Unternehmen eher ungewöhnlich.
Chen erzählt auf Deutsch, dass einmal ein Mitarbeiter zu ihm gesagt hat: „Herr Dr. Chen, früher haben wir unsere Chefs eher selten gesehen. Aber Sie kommen in die Produktion und essen mit den anderen in der Kantine. Das gefällt mir.“ Darauf ist Chen stolz. Denn er legt großen Wert darauf, dass das Werk in Gaomi kein typischer chinesischer Betrieb ist: „Wir sind ein deutsches Unternehmen, auch wenn wir in China sind. Unsere Kundinnen und Kunden haben höchste Ansprüche an unsere Produkte“, sagt er. „Schließlich ist ein Mähdrescher von CLAAS der Mercedes unter den Landwirtschaftsmaschinen.“ Um diese Ansprüche zu erfüllen, ist für Chen die Etablierung der CLAAS Kultur im Werk sehr wichtig.
Flache Hierarchien – keine ganz leichte Aufgabe
Zugute kommt Chen dabei, dass er mit Deutschland und deutschen Unternehmen bestens vertraut ist. Der 45-Jährige hat ein Ingenieursstudium in Deutschland absolviert. An der Universität Stuttgart machte er sein Diplom, anschließend promovierte er in Karlsruhe und arbeitete viele Jahre lang in führenden Positionen für deutsche Automobilzulieferer.
Seitdem er vor anderthalb Jahren bei CLAAS angefangen hat, arbeitet Chen daran, die Hierarchien in Gaomi flacher zu machen. Keine ganz leichte Aufgabe, denn chinesische Betriebe sind oft deutlich hierarchischer geprägt als deutsche Familienunternehmen wie CLAAS. Deshalb scheuen sich manche Mitarbeitenden noch etwas, ihre Ideen offen einzubringen. Um dem entgegenzuwirken, hat Chen vierteljährlich stattfindende Townhall-Meetings eingeführt, bei denen die Angestellten des Werks der Geschäftsführung Fragen stellen können – auch anonym.
Das in China noch weitgehend unbekannte Format ist unter den Mitarbeitenden beliebt. Ein großer Erfolg ist auch das neu eingeführte Vorschlagswesen: Angestellte können via App Verbesserungsideen vorlegen, was zu vielen Optimierungen in der Produktion geführt hat. Gut kommt auch die offene Kommunikations- und positive Fehlerkultur an, um die sich Chen bemüht.
700 Maschinen pro Jahr
Diese Veränderungen der Unternehmenskultur in den vergangenen Jahren haben zu dem Erfolg des Standorts beigetragen. 2014 wurde er als Joint Venture mit einem chinesischen Unternehmen gegründet. Seit 2016 firmiert das Werk als „CLAAS Agricultural Machinery (Shandong) Co. Ltd.“ und gehört ganz dem deutschen Konzern.
Nach anfänglichen Herausforderungen bei der Etablierung im chinesischen Markt produziert CLAAS in Gaomi heute 700 Maschinen pro Jahr – hauptsächlich Mähdrescher. Diese werden unter dem Namen CLAAS sowie unter dem einheimischen Markennamen CHUNYU überwiegend für den chinesischen Markt gefertigt. Seit einigen Jahren bereitet man sich in Gaomi auf den Export in ausländische Märkte vor.
Insgesamt 500 Mitarbeitende hat der Standort und verfügt über ein umfassendes Vertriebs- und Servicenetz in Zentral- und Nordchina. Bis heute ist CLAAS die einzige deutsche Firma in Gaomi. Die Stadt – mit 900.000 Einwohnern für chinesische Verhältnisse eher klein – liegt in der Provinz Shandong, einer der landwirtschaftlichen Hauptregionen Chinas, die als die Kornkammer des Landes gilt. Die Millionenmetropole Shanghai ist siebeneinhalb Autostunden entfernt, mit der Bahn lässt sich die Strecke in rund sechs Stunden schaffen.
Besser als manche deutsche Zulieferer
Jeden Morgen um neun Uhr findet im Besprechungsraum neben der Montage das sogenannte „Morning Operation Briefing“ statt. In dem Termin bespricht Xi Chen mit den Abteilungs- und Bereichsleitern eine halbe Stunde lang aktuelle Themen. In diesem Zirkel lässt er sich über Fortschritte und Herausforderungen informieren. Dabei ist stets auch Shirley Wang. Die 37-Jährige ist die Leiterin der Qualitätsabteilung bei CLAAS am Standort Gaomi.
„Die CLAAS Unternehmenskultur ist von gegenseitiger Unterstützung und Vertrauen geprägt“, sagt sie. Das Quality Department müsse besonders eng mit der Produktion, der Design-Abteilung und den Kunden zusammenarbeiten, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Und die Arbeit von Shirley Wang und ihrem 37-köpfigen Team wirkt.
Das zeigt sich insbesondere daran, dass Gaomi auch CLAAS Industrietechnik beliefert – ein Tochterunternehmen der CLAAS Gruppe, das in Paderborn ansässig ist. Die entstehenden Bauteile werden in CLAAS Maschinen auf der ganzen Welt eingesetzt. Der Konzern-Hauptsitz in Harsewinkel bescheinigte Standortleiter Chen vor Kurzem, bessere Qualität als manch deutscher Zulieferer zu produzieren.
Unsere Kolleginnen und Kollegen freuen sich auf die weitere Entwicklung der Fabrik.
Das liegt nicht zuletzt an der engen Zusammenarbeit über die Ländergrenzen hinweg. In den letzten Jahren haben in Gaomi und in Harsewinkel regelmäßig deutsche und chinesische Mitarbeiter in Tandem-Teams gearbeitet. Hinzu kommt: CLAAS investiert auch in Gaomi viel in die Weiterbildung seiner Fachkräfte. Selbst in der Pandemie – inmitten der „Null-Covid“-Politik in China – flogen chinesische Kolleginnen und Kollegen nach Harsewinkel, um dort Seminare zu absolvieren.
Xiandian Meng schätzt den Austausch innerhalb der CLAAS Gruppe sehr. Der 33-Jährige ist Chef der CLAAS Industrietechnik-Abteilung in China und in engem Austausch mit den deutschen CLAAS Industrietechnik-Kolleginnen und -Kollegen in Paderborn. Meng hat seinen Master in Maschinenbau an der RWTH Aachen absolviert und ist überzeugt, dass sich deutsche und chinesische Kultur gut ergänzen. Chinesen seien häufig äußerst effizient und flexibel, während Deutsche hohen Wert auf Akkuratesse legten, erklärt er.
„Meine Kolleginnen und Kollegen in Gaomi müssen sich nur etwas daran gewöhnen, dass Deutsche direkter in der Kommunikation sind als wir.“ Punkte, die Chinesen tendenziell höflich und indirekt umschreiben würden, sprächen Deutsche oft ohne Umschweife an. „Mit der Zeit weiß man aber, dass das nicht persönlich, sondern rein sachlich gemeint ist“, sagt er mit einem Lachen.
Ein Arbeitstag in Gaomi
Duale Ausbildung als Erfolgsrezept
Ein weiteres Stück deutscher Unternehmenskultur ist die duale Technikerausbildung in Gaomi. Das System ist in China kaum bekannt, erläutert Qian Liu, der „Dual Education Training Manager“ des Werks. Der 38-jährige Ingenieur, seit September 2021 bei CLAAS, arbeitete zuvor unter anderem für BMW in China und ist ein Freund der deutschen Ausbildungskultur.
Normalerweise rekrutieren chinesische Firmen College-Absolventen nach ihrem Abschluss und bilden diese anschließend aus. Bei CLAAS hingegen arbeiten die Auszubildenden neben dem College einen großen Teil ihrer Zeit im Werk. „Beim Abschluss kennen die jungen Techniker den Betrieb schon und sie haben ein klares Karriereziel vor Augen“, sagt Liu. „Das schätzen sie sehr.“ Zwölf Absolventinnen und Absolventen haben das Programm bisher abgeschlossen – und wenn es nach der Firma geht, sollen es noch weit mehr werden.

„Unsere Mähdrescher sind made in China,
aber vor allem made by CLAAS“
Was das CLAAS Werk in Gaomi ausmacht, erklärt der Standortleiter Dr. Xi Chen im Interview.
Zum Interview mit Dr. ChenEin wichtiger Markt der Zukunft
Das passt zu den China-Plänen von CLAAS: Der Konzern entwickelt den Exportanteil des Werks in Gaomi – mit Mähdreschern für Europa, Afrika und Zentralasien. Auch das Geschäft mit Komponenten für andere Werke gewinnt an Bedeutung, da es CLAAS hilft, Vorteile bei der Beschaffung und der Eigenfertigung auszuspielen.
„China bleibt für uns ein wichtiger Markt der Zukunft, dessen Besonderheiten und Rahmenbedingungen wir allerdings immer kritisch verfolgen müssen“, sagt Bernd Kleffmann, Senior Vice President Product Unit Combines Range C-F bei CLAAS. „Die Selbstversorgung mit Nahrung hat für China einen hohen Stellenwert. Deshalb finden Produkte aus verschiedenen CLAAS Standorten ihre Kunden in China. Nicht zuletzt auch Mähdrescher in Grün und Rot aus Gaomi.“
Um den chinesischen Standort zu managen, lebt Xi Chen unter der Woche in einer kleinen Wohnung in Gaomi. Am Wochenende pendelt er ins sechs Zugstunden entfernte Shanghai zu seiner Frau und seinen drei Kindern. Sonntagabends kehrt er wieder nach Gaomi zurück.
Chen will das Werk in den nächsten Jahren noch weiter voranbringen. Das möchte auch die Belegschaft: „Unsere Kolleginnen und Kollegen sind bereit, immer etwas Neues zu lernen, und freuen sich auf die weitere Entwicklung der Fabrik.“
Um diese Entwicklung voranzutreiben, wird Xi Chen auch nächsten Montag wieder um spätestens sieben Uhr seinen Arbeitstag im Werk beginnen.